Ein Christbaum voll von Kerzen

Weihnachten 1958

Ich war gerade einmal 14 Jahre alt, da schrieb ich ein Weihnachtsgedicht. Zu dieser Zeit haben wir Kinder immer gemeinsam unsere Eltern zu Weihnachten beschenkt, mit ein bisschen Taschengeld und sehr viel Bemühungen. Diesmal ist uns etwas ganz Besonderes eingefallen.

Wir schenkten unseren Eltern eine „selbstgemachte“ Schallplatte. Das ging so: In einem großen Einkaufszentrum gab es eine Kabine in der Größe einer Telefonzelle. Dort konnte man in ein Mikrofon sprechen oder singen und gegen den Einwurf von Geld kam dann auf einer Schallplatte – groß wie heutige CDs – das Kunstwerk aus dem Automaten.

Wir machten uns also ans Werk. Zuhause hatten wir ein tragbares Tonbandgerät. Bernd, der Älteste war so etwas wie der Regisseur. Ich musste Stille Nacht am Klavier spielen, und Bernd nahm das auf. Dann gingen wir mit diesem Gerät in das EKZ und dort drängten wir uns zu dritt in diese Zelle. Abwechselnd startet Bernd das Gerät und spielte immer eine Strophe des Liedes und Herbert, der jüngere Bruder, der ja später wirklich Schauspieler geworden ist, sprach total pathetisch mein Gedicht  dazwischen. Die fertig gepresste Schallplatte schenkten wir dann unseren Eltern zu Weihnachten. Ich glaube, sie haben sich über kein anderes Geschenk von uns mehr gefreut. 

 

EIN CHRISTBAUM VOLL VON KERZEN

Ein Christbaum voll von Kerzen, ein froher Weihnachtschor,

ich stand mit freiem Herzen, still und gebannt davor.

Die kleinen Äuglein hoch empor, hielt ich vor Dankbarkeit,

und leise klang es an mein Ohr: „Gnadenbringende Weihnachtszeit.“

 

Ich schmiegte mich an Mutters Hand und schaute zu ihr auf.

Sie baute mir ein Wunderland, ich baute Schlösser drauf.

Von Geld und Sorgen wußt’ ich nichts, von Arbeit und von Plag’

und auch der Mutter Angesicht strahlte an diesem Tag.

 

Vergessen war das Sparen, das Rackern ohne Ende.

Doch stets war Geld zuwenig, in müden Mutterhänden.

Doch all das war mir unbekannt, sie baute mir ein Wunderland.

Da gab es keine Müh’ und Plag’, das Christkind kam am Weihnachtstag.

 

Die Kinderaugen strahlten, das reinste Glück der Welt,

wenn mir mein liebes Mutterl vom Christkind hat erzählt.

Sie ließ mich in dem Glauben, solang es möglich war.

Des Kindes Glück, das einzig wahre erlebt’ ich Jahr für Jahr.

 

Doch auch die schönste Zeit, sie geht einmal vorbei.

Die Kindheit schon so weit, der Kindertraum entzwei.

An Mutters Seite steh’ ich  still unterm Christbaum da,

und doch es kann nicht werden, was früher einmal war.

 

Ich suche zwischen Kerzen, was ich dort hab’ geseh’n.

Ich wart mit bangem Herzen, auf’s Christkindlein so schön.

Ich schalt mich gleich drauf närrisch und weiß nicht was mir fehlt.

Ich glaubte mich verstoßen aus meiner Wunderwelt.

 

Auf einmal hör’ ich Mutter: „Was ist mit dir mein Kind?“

Und wie ein Blitz durchzuckt’s mich, mich streift ein frischer Wind.

Such niemals zu ergründen, der Kinder Welt und Glück,

nicht durch Vernunft zu finden, so kehrt es nie zurück.

 

Was der Verstand nicht kann erfassen, was man nicht wirklich sieht und hört,

das kann der Mensch nicht gelten lassen, wenn er zu den Erwachsenen gehört.

Doch liebst du deine Eltern wahrhaftig tief und treu,

so wird das Tor zum Märchen geöffnet dir auf’s Neu’.

 

Ein Christbaum voll von Kerzen, ein froher Weihnachtschor,

der klingt dir dann im Herzen so schön wie nie zuvor.

Und dankbar nehm’ ich deine Hand und schau dich lange an.

Oh Mutter, ich bleib’ stets dein Kind, verzeih’ mir, jetzt erst denk’ ich dran.

(c)sarah66