Die Hochzeit meiner Eltern

März 1949, meine Eltern heiraten. Es klingt eigenartig, ich war fünf Jahre alt. Wir Mädchen bekamen rosa Kleidchen mit aufgenähten Röschen, damit wir gleich waren, oder weil der Stoff eines alten Ballkleides meiner Mutter für zwei kleine Mädchen reichte. Es waren wunderschöne Kleidchen, und ich habe mich wie eine Prinzessin gefühlt. Es ist merkwürdig, daß dieses Kleid so ziemlich die einzige Erinnerung an diese Hochzeit für mich bedeutet. Das andere Mädchen besaß das gleiche und einen dicken weißen Kopfverband, weil sie ein oder zwei Tage vor der Hochzeit mit dem Kopf gegen einen dicken grünen Ofen gefallen war.

Das andere Mädchen war klein und pummelig, hatte dunkle Haare und fast schwarze Augen, und es wurde an diesem Tag meine Schwester. Da waren noch zwei Buben, der kleinere ein halbes Jahr älter als ich. Welch eigenartiger Altersunterschied zwischen Geschwistern, er sollte uns noch unsere ganze Kindheit zu schaffen machen. Er trug einen grünen Anzug, so grün wie der dicke Ofen, die kurze Hose war mit gepreßten Knöpfen an die Jacke geknüpft. Der Andere, schon fast acht, besaß schon ein Sakko und sah bereits trotz nackter Knie recht seriös aus. Er ist wahrscheinlich der Einzige, der den Ernst dieses Tages mitbekam, er sollte Mutter sagen zu einer Frau, die heute den Namen seines Vaters annahm, einer Frau zu der er bis gestern Tante sagte, und die die leibliche Schwester seiner Mutter war. Trauzeugen dieser Ehe, ich weiß es heute nicht mehr, in erster Linie der Krieg. Der Krieg, der alles aus der Bahn warf. Ich bekam keinen anderen Namen an diesem Tag, ich behielt den ledigen Namen meiner Mutter, ein lediges Kind, ein Kind des Krieges, ein Kind eines Soldaten der meine Mutter nie heiratet, oder den sie nicht heiraten wollte, wie sie es später erzählt hat, vielleicht stimmt das, vielleicht jenes, vielleicht auch beides. Als ich geboren wurde, war das Ende schon abzusehen, das bittere Ende, aber keiner hatte noch eine Ahnung von den Konsequenzen, wie sollte da ein harmloses Liebespaar Konsequenzen ziehen aus ihrem Tun, aus ihrer vermeintlichen Liebe, die vielleicht nur durch das Chaos entstand, und aus der ein Kind entstammt, das zwar das persönliche Problem vergrößerte, aber unterging in dem Chaos der Umwelt. Der Mann, der mich zeugte, ich scheue mich ihn Vater zu nennen, war deutscher Soldat, hat mich ein einziges Mal als Baby gesehen, mir einige Briefe geschrieben, später eine andere Frau geheiratet, noch zwei Kinder in die Welt gesetzt, irgendwann versucht aus der Ostzone zu flüchten und gilt seither als verschollen. Ich habe ihn noch einige Male benutzt, im Streit mit meiner Schwester, ich wußte, daß ich einen Vater besaß, und als letzter Ausweg glaubte ich in meiner Naivität, ich könne zu ihm gehen, wenn mir an meiner momentanen Familiensituation etwas nicht paßte. Ich habe erst viel später erkannt, wie ich damit den Menschen verletzte, der mir Vater war, der mich großzog und sein Bestes für mich gab, ohne mich gezeugt zu haben.

 

 Er war in erster Ehe mit der Schwester meiner Mutter verheiratet. Er muß sie sehr geliebt haben, und er setzte mit ihr Kinder in die Welt, wie es der braven deutschen Frau entsprach. Zwei Söhne im Krieg, wie es der braven deutschen Frau entsprach und ein Mädchen nach der Gefangenschaft, nach dem Ende, als man keine Söhne mehr brauchte, etwas zum Versöhnen mit der Welt, etwas zum Liebhaben.

 

Ihr früher Tod brachte sie schließlich um die Möglichkeit diese Kinder groß zu ziehen, die ihr alles waren, oder ein gnädiges Schicksal bewahrte sie davor mit ansehen zu müssen, was aus ihrem Lebensinhalt wurde in einer Zeit, die keine Söhne mehr brauchte, und in der kleine süße Mädchen für die Zeit büßen mußten, in der sie gezeugt wurden, weil sie kaputt waren trotz ihrer Lieblichkeit, weil sie keine Substanz mehr mitbekamen, weil ihnen ihre Mutter nichts mehr mitgeben konnte, als Tränen, als Verzweiflung, weil sie nie mehr die Stärke hatten bestehen zu können neben dem Bild, das man in sie hineingewünscht hatte.

 

Es wurde ganz einfach zu viel von ihnen verlangt. Sie sollten Ersatz sein, für ein verpfuschtes Leben, ein in nichts zerronnenes Ideal, für eine verpatzte Jugend, einen verlorenen Krieg, gefallene Väter und Brüder, aus ihnen sollte etwas werden, sie sollten es besser haben, ihnen war man bereit alles zu opfern, sogar die eigene Zukunft, für sie heirateten zwei Menschen, die außer der Achtung voreinander, die Sorge um diese Kinder und die unbewältigte Vergangenheit nichts gemeinsam hatten. Die aber durch diese Heirat eine Familie wurden.

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