Eine anständige Frau

 

Sie hatte sich vorgenommen sich besonders hübsch zu machen an diesem Tag. Es war eigentlich ein ganz gewöhnlicher Tag, das heißt, so gewöhnlich war er nun auch wieder nicht. Zumindest nicht für sie. Sie hatte beschlossen diesen Tag zu etwas Besonderem zu machen, zu etwas, das ihr ganzes Leben verändern sollte.

 

Zunächst stellte sie sich einmal vor den Spiegel aber je länger sie sich betrachtete, desto unzufriedener wurde ihr Gesichtsausdruck und umso unansehnlicher fand sie sich, bis sie schließlich zornig die Zunge hinausstreckte, was ihr Gegenüber natürlich dazu veranlasste mit der selben Gehässigkeit zu antworten. Erschrocken ob dieser verzerrten Hässlichkeit, wendete sie sich abrupt ab und verbarg ihr Gesicht unter beiden  Händen. „Jämmerlich“, dachte sie, wie sollte sie es anstellen hübsch auszusehen mit diesem Spiegelbild? Womit sollte sie beginnen? „Die Dusche!“ Ein rettender Gedanke. Sie drehte das Wasser auf, und schon das eintönige Rauschen beruhigte sie ein wenig. Sie entkleidete sich, natürlich nicht vor dem Spiegel, um ihren Morgenschock nicht noch zu vergrößern. Als das Wasser mit wohliger Wärme ihren Körper einhüllte fasste sie sich langsam. „Na ja, zwanzig bin ich nicht mehr, aber gar so arg ist es nun auch wieder nicht. Irgendwie werde ich es schon hinkriegen“, und sie kehrte nach und nach zu ihrer ursprünglichen Absicht, sich hübsch zu machen, zurück. Ein vorsichtiger Blick in den Spiegel, ein erfrischtes optimistisches Gesicht blickte ihr entgegen, und schon sah die Welt ganz anders aus. Haare eindrehen, oder ganz einfach nur föhnen? Föhnen wirkt jugendlicher, aber eindrehen doch eleganter. Zunächst schlang sie ein Frotteehandtuch turbanartig um ihren Kopf, zündete sich eine Zigarette an um in aller Ruhe über dieses Problem nachdenken zu können. Wie er es wohl lieber hätte? Keine Ahnung, sie kannte ihn ja kaum. Ist ja auch egal, dachte sie und entschied sich für den Föhn.

 

Dabei kam ihr zum Bewusstsein, wie lange es schon her war, dass sie soviel Sorgfalt für ihre eigene Person aufgewendet hatte. Es hatte sich ja schließlich gar nicht ausgezahlt, so wie sie bisher lebte. Brav, bieder und zurückgezogen. Seit ihrer Scheidung war sie sogar rein zufälligen Männerblicken ausgewichen und hatte sich in ihr Schneckenhaus verkrochen sobald nur einer den Versuch machte sie anzusprechen. Welch eine brave Frau, sagte man über sie, und so anständig, nur für die Kinder da, immer aufopfernd, immer hilfsbereit, sie denkt niemals an sich selbst. Sie war überzeugt, dass dieser Ruf schon auf ihr Benehmen, wahrscheinlich sogar auf ihr Aussehen abgefärbt hat. Aber zum Teufel damit, das sollte jetzt anders werden. Jetzt wollte sie leben. Jetzt wollte sie alles nachholen und wenn es sein muss mit Gewalt.

 

Trotzig verzog sie den Mund, und sie fand sich plötzlich ganz verrucht und genoss diesen Augenblick. Ihrer momentanen Stimmung entsprechend fiel auch ihre Schminke aus. Etwas zu stark, etwas zu bunt, aber durchaus zu ihrer Zufriedenheit. Dann begann die Zeremonie des Ankleidens. Mindestens fünfmal wechselte sie die komplette Garderobe bis sie schließlich fand, dass sie nichts mehr besaß, das gut genug wäre für diesen Tag, und leichtsinnigerweise beschloss sie sich ein neues Kleid zu kaufen, als sie plötzlich die Angst packte in ein Geschäft zu gehen, etwas zu verlangen ohne zu wissen was, da sie keine Ahnung mehr hatte, was gerade modern ist, und was man zur Zeit trägt. Also wählte sie einen einfachen Rock und eine Bluse aus ihrem Kleiderschrank aus. Das war nun zwar zeitlos, stand aber im krassen Gegensatz zu ihrer Schminke und zu ihrer heutigen Lebensauffassung.

 

Als sie endlich fertig war, war es nicht einmal noch Mittag, und sie stellte mit Entsetzen fest, dass sie noch Stunden Zeit hätte bis zu ihrem Rendezvous, bis zum Beginn ihres neuen Lebens. Verwirrt kauerte sie sich in einen Fauteuil um darüber nachzudenken wie sich die Zeit totschlagen könnte. Und ihre Gedanken kreisten um ihn. Gestern hatte sie ihn kennen gelernt und für heute hatte sie ihn zu sich eingeladen. Na ja, sie wusste ja wie die Männer sind und worauf sie aus waren. Und sie würde ja sagen. Liebe? Nein leben wollte sie, so sein wie die anderen. Er war nett, er gefiel ihr, das müsste doch reichen. Die anderen konnten sich doch auch nicht so oft ernsthaft verlieben, so oft sie die Freunde wechselten. Keinen einzigen Gedanken verschwendete sie an die Person des Menschen den sie dazu benützen wollte ein neues Leben zu beginnen. Umso weniger sie von ihm wusste, umso besser, dachte sie. Sie würde ihn ja danach sowieso nicht mehr wiedersehen wollen. Dazu waren ihre Ansichten von einer ernsthaften Bindung viel zu konservativ. Männer, die sich auf diese Art einladen ließen brauchte man nicht ernst zu nehmen, sie waren ja alle von der gleichen Sorte. Warum sollte sie nicht so sein. Die im Büro, die flüstern ohnehin schon hinter ihrem Rücken, und sie glaubte gar den Ausdruck „Alte Jungfer“ schon einmal gehört zu haben. Das würde sich jetzt grundlegend ändern.

 

Zäh strich die Zeit dahin. Immer wieder überprüfte sie ihr Äußeres, wischte ein Staubflankerl weg, und leerte den Aschenbecher aus. „Ich rauche zuviel“, dachte sie, aber gleichzeitig war es ihr wieder völlig egal. Endlich läutete die Türglocke, und sie erschrak obwohl sie stundenlang darauf gewartet hatte. Schnell noch ein Blick in den Spiegel, ein Lächeln aufsetzen und dann öffnen.

 

Und da stand er nun, der Auserwählte. Er drückte ihr ein paar Blumen in die Hand und grüßte mit ausgesuchter Höflichkeit. Sie bat ihn weiterzukommen und holte schnell eine Vase. Wie im Kitschfilm schoss es ihr durch den Kopf. Dann nahmen sie Platz. Sie verschränkte die Hände, um sofort zu bemerken, dass das sicher sehr unvorteilhaft wirkt, und es wieder bleiben zu lassen. „Wollen Sie etwas trinken?“ „Gerne, danke.“ „Bier, Wein oder vielleicht einen Kaffee?“ „Kaffee bitte, wenn es Ihnen nicht zu viel Umstände macht.“ „Aber gar nicht!“ Wie geziert ihre Stimme plötzlich klang. Sie ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Spontan beschloss sie das schöne Service zu nehmen, das von ihrer Hochzeit, das immer so sinnlos ganz hinten im Schrank steht. „Nehmen Sie Milch und Zucker?“ rief sie ins Zimmer hinein. „Beides bitte!“ Elegant versuchte sie das Tablett hineinzutragen, aber ihre Hände zitterten. „Blödsinn, ich bin doch nicht nervös“, dachte sie, „aber nein warum auch, ich konnte ja nie gut servieren.“

 

Es war so ruhig im Zimmer, dass das Geräusch des Umrührens erschreckende Formen annahm. Langsam begann eine Unterhaltung und schleppte sich dahin wie auf Krücken. „Wollen Sie Musik hören?“ fragte sie in die nächste Stille. „Gerne“, „Was hören sie gerne?“ „Es ist mir egal, was Sie gerne möchten!“ Wieder eine Pause. Und so ging es weiter. Man redete über die Musik, über das Wetter und sonst noch über alles von dem sie sich vorgenommen hat, bestimmt nichts zu reden. Die Zeit verging und nichts geschah. „Ich kann mich ihm doch nicht einfach an den Hals werfen, was soll ich tun? Wie soll ich es anfangen?“

 

Und während ihre Gedanken rotierten redeten sie und redeten so lange bis sich ihr Gast schließlich erhob, sich für den netten Abend bedankte und sich verabschiedete. „Aber!“ fuhr sie erschrocken auf. „Sie brauchen keine Angst zu haben“, meinte er schließlich beruhigend am Weg zur Türe. „Ich werde eine solche Situation noch nicht ausnützen. Nicht mit einer Frau, wie Sie es sind““ sagte es, küsste ihr die Hand und verschwand.