Ich komme zurück

 

Kürzlich fragte sie eine Freundin: „Was würdest du tun, wenn dein Mann wieder zurückkäme, würdest du ihn wieder nehmen?. „Nein!“ antwortete sie kurz und so eindeutig, dass die Freundin nicht mehr weitersprach. Dieses Nein war spontan und unüberlegt, es kam aus ihrem Innersten, schneller als sie irgendeinen Gedanken fassen konnte, und es hallte in ihr nach und begann nach und nach Diskussionen mit sich selbst in ihr auszulösen, eine lange Reihe von Für und Wider, eine harte Prüfung ihres Standortes, ihrer geheimsten Wünsche und der Möglichkeit einer Entscheidung, wenn alles allein von ihrem Willen abhinge und sie aus den unerschöpflichen Möglichkeiten, ihr zukünftiges Leben zu gestalten, einfach aussuchen könnte.

 

Sie hatte sich mit diesem Gedanken lange nicht mehr befasst. Nicht bei der Scheidung, nicht an dem Tag danach, als er sich seine Sachen aus der Wohnung holte und auch nicht als sie die Geliebte eines anderen wurde. Und dann kam ein endloses: “Was wäre wenn?“. Hundertmal versuchte sie sich die Szene vorzustellen. Er steht plötzlich vor der Türe oder er ruft an, sie versucht seine Lippen die Worte formen zu lassen: „Ich komme zurück!“. Dabei beobachtet sie ihn als würden Kilometer zwischen ihnen liegen. Es gelingt ihr nicht mehr sich seinen Mund vorzustellen, seinen Gesichtsausdruck der diese Worte begleitet. Es gelingt ihr nicht seine Augen zu sehen, sie kann sich an den Klang seiner Stimme nicht mehr erinnern. Sie versucht diese drei Worte in einer anderen Art zu betonen, jedes Wort einzeln, der Reihe nach, sie stellt sich vor, dass er diesen Satz zärtlich sagen müßte, oder schüchtern, oder reumütig, oder fragend, aber es ist sinnlos. Sie schafft es nicht. Sie zwingt sich dazu diese Worte zu hören, ganz langsam um Zeit zu haben sich die Antwort darauf gründlich zu überlegen und genau das darauf zu sagen, was sie innerlich dabei empfindet. Es ist eigenartig, sie empfindet gar nichts. Sie findet es nur ärgerlich, einfach ärgerlich, dass er sich ihr in den Weg stellt, dass sie ihm dieses Nein erklären muss, sie möchte ihn dabei schonen, sie fühlt so etwas wie Mitleid mit ihm, und sie weiß, dass vor den vielen Kilometern, die zwischen ihnen liegen, ein Ort lag an dem sie sich liebten, dass es für die Ewigkeit reichen sollte, dass ihre Körper eins waren, und sie seine Haut berühren konnte als wäre er die natürliche Fortsetzung ihrer eigenen. Das alles weiß sie, aber sie kann es nicht mehr fühlen, sie kann sich an all diese Empfindungen erinnern, aber sie kann sie nicht mehr nachempfinden. Da steht er nun und sagt: „Ich komme zurück!“, und weiß nicht, daß sie nein sagen muss und könnte es vielleicht nicht einmal verstehen. Sie weiß nicht, ob sie die weite Strecke gleichmäßig auseinander gegangen waren, von einem gemeinsamen Punkt aus in entgegengesetzter Richtung, oder ob er noch dort steht, wo sie sich getrennt haben und bloß sie sich diese vielen Schritte von ihm entfernt hat. Ihr Leben hat sie weitergeführt auf einem langen Weg, der durch ebenso starken Haß gegen ihn führte, wie sie ihn vorher geliebt hatte, bis schließlich auch der Haß hinter dem Horizont verschwand und nichts mehr übrig blieb als ein ruhiges „Es war einmal“, ein Fotoalbum aus der Vergangenheit, heitere Episoden, das Wissen um den großen Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, Erinnerungen an Liebesnächte wie aus einem Roman, den sie über andere liest, der sie zwar beeindruckt, aber nicht berührt, über den sie reden und diskutieren kann, als stamme er nicht aus ihrem Leben.

 

Trotzdem läßt sie sich auf eine Debatte ein und versucht sich Mühe zu geben ihm dieses Nein zu erklären und antworte in seinem Namen, so wie sie sich vorstellt, daß jemand antworten müßte, der so einfach dastehen kann nach all diesen Kilometern und sagt: „Ich komme zurück!“. „Was stellst du dir vor mit diesem Zurück? Du wolltest weg, du sagtest du könntest nicht mehr mit mir leben. Zurück, das heißt Wiederherstellung dessen was man verlassen hat, und das war dir unerträglich, so unerträglich, daß du alles aufgabst.“. Und jetzt müßte er irgend etwas sagen, irgend etwas wie, er hätte sich geirrt, er würde es bereuen, oder vielleicht gar er würde sie noch lieben.

 

Und jetzt weiß sie nicht mehr weiter. Wie soll sie einem Menschen erklären, dass der Weg, den sie zurücklegen mußte zu weit war, dass es kein Zurück mehr gibt, weil der Ausgangspunkt ganz einfach nicht mehr da ist, weil sie nicht mehr die ist, die er verlassen hat, die vor ihm auf den Knien lag, um seine Liebe zu erflehen, die ihn halten wollte mit allen Mitteln, obwohl er alles zerschlagen hatte, was sie verband, alles zertrat, was in ihr war, so dass sie nur mehr die Wahl hatte, winselnd einzugehen oder aus der Asche ihres ausgebrannten Ichs ein neues erstehen zu lassen. aus dem, dass dieses neue Ich ihn nicht mehr kennt, ihn weder liebt noch haßt, ihn bloß als Tatsache in Erinnerung hat. Sie sagt ihm, dass sie in den Armen eines anderen Mannes liegt, dass sie diesen liebt, dass dieser einen Teil ihres Weges bedeutet, der sie von ihm entfernt hat, ein paar Rosen auf einem steinigen Weg, ein paar glückliche Stunden zwischen den vielen, die voll Sorge und Kummer sind. Stunden in denen sie alles was sie an Liebe besitzt hingibt, stärker und intensiver als sie es je vorher zu geben imstande war, weil diese Liebe nicht bestimmt ist für die Ewigkeit, weil sie sie nicht aufteilen muss auf eine Ehe bis dass der Tod sie scheidet, sondern vergeuden kann für diesen kurzen Augenblick des Lebens, der herausgeschält ist aus dem Alltag, aus allem was Sinn und Zweck hat, nur besteht wie eine Rose, deren Duft sie erfreut, ohne dass sie verwertet werden kann um von ihr zu leben. Wie sollte er das verstehen, der sie kannte als brave Frau, die stets an morgen denkt, stets alles einteilt, sei es Zeit, Geld oder auch Liebe. Für die alles sinnvoll sein mußte, die stets vernünftig war, und die er schließlich gebraucht hatte, um sich an ihr anzulehnen und seine eigene Unselbständigkeit hinter ihr zu verbergen. Und da steht er nun und sagt: „Ich komme zurück!“, und sie sagt „Nein!“, weil sie hart geworden ist, hart nach außen um nicht umzufallen auf dem langen Weg, und es tut ihr leid, dass sie nein sagen muß, weil sie Mitleid gelernt hat mit all dem menschlichen Elend links und rechts des Weges, das sich ihr auftat und an dem sie vorbei mußte, fremdes Elend, dass man durch das eigene nachfühlen kann, und das einem doch fremd bleibt, wie er ihr fremd ist, der da steht und mit dem sie Mitleid hat.

 

Dann ist sie ärgerlich, weil sie ihm alles das erklären muß, weil er sich ihr in den Weg stellt, und weil sie an ihm vorbei muß.

 

Es hat eine Zeit gegeben, da hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht als dass er kommen würde und sie könnte ihm dieses Nein entgegenschleudern, als Rache, sie fühlte eine Genugtuung darin, ihn zu Kreuze kriechen zu sehen und ihn zurückzustoßen. Das war die Zeit des Hasses, da sie jede Demütigung die er ihr zugefügt hatte heimzahlen wollte und sich an dem Gedanken weidete, ihn betteln und flehen zu sehen.

 

Heute wünscht sie sich nur, dass der Fremde auf der Treppe ein Trugbild sei, dass er nie auftauchen möge, und dass sie ihren Weg fortsetzen kann ohne ihm zu begegnen. Es wäre eine Lüge zu behaupten, sie ginge den Weg gerne alleine, aber ihre Wünsche gelten nicht ihm, sie gelten den Rosen am Wegrand, sie gelten ihrem Geliebten der nie mit ihr gehen wird, weil es nur Liebe zwischen ihnen gibt, weil der Duft der Rosen, die er ihr schenkt sie erfreut und beglückt, sie sie genießen solange sie blühen aber Angst haben vor den Dornen, die die schönste Rose mit sich bringt wenn man sie zu fest hält.

© sarah66