Sühneversuch

 

Es ist schon etwas Eigenartiges an einer Scheidungsverhandlung. Ein mieses kleines Kabinett in einem großen grauen Gebäude mit endlosen Gängen, hunderten Türen, Fenster in einen Hof voller Autos, Uhren in den Gängen, Uhren die anzeigen wie viele Minuten eine Ehe noch besteht. Minuten, die Ewigkeiten dauern gemessen an den Jahren, die man glücklich war, verheiratet war, und die dahingegangen sind, kaum dass man es merkte. Und am Ende zählen nur die Hochzeitstage, die Jahre der Kinder und die Falten im Gesicht. Und Menschen werden über das Ende dieser Ehe befinden, werden Schuld suchen und urteilen über ein Leben, eine Beziehung, werden wühlen in den innersten Geheimnissen zwischen zwei Menschen, die einander geliebt hatten, einander vor ihrem Gott, vor ihrem Gewissen und der Ahnung des noch ungeborenen Lebens das zu zeugen und zu gebären sie gewillt waren, ewige Liebe und Treue geschworen hatten. Die einander beistehen wollten, im Leid, die diesen hilflosen kleinen Lebewesen, die aus ihrer Liebe entstammten, Wärme geben wollten, ein Heim, über das nun eben diese fremden Menschen entscheiden werden, wem wohl welcher Löffel und wem der Fernsehapparat zustehen würde. Am Anfang dieser Ehe spielte die Orgel, ein Pfarrer bemühte sich inhaltsvolle Sätze, gute Wünsche und ein großes Maß an Zuversicht und Hoffnung dem Brautpaar auf den Weg mitzugeben. Blumen, Freudentränen und unzählige Glückwünsche untermalten die Feierlichkeit dieses Tages.

 

Wie anders das Ende. Freudlose graue Mauern, ein finsteres Kabinett, statt der Orgel die Schreibmaschine, statt Festgesang Protokoll. Statt der Trauzeugen, die man aus seinen besten Freunden auserwählt die Anwälte die die wichtigsten Fakten wissen, von einem Termin zum anderen jagen, dafür bezahlt werden möglichst viel Schmutz am Anderen zu finden. Ein Richter, der fast gekränkt ist, dass sich die Klienten nicht schon vorher über Schuld und Folgen geeinigt haben, dass er jetzt noch Arbeit bekäme, wo die Richter sowieso schon so überbelastet und so unterbezahlt wären. Eine beruflich Debatte zwischen Richter und Anwälten, wann denn nun endlich die neue Scheidungsreform zu erwarten wäre, die es zulassen würde auf die Klärung der Schuld zu verzichten und damit die Fließbandarbeit der akademischen Eheauflöser erleichtern würde.

 

Sühneversuch: Dauer zwei Fragen. „Wollen Sie sich mit ihrem Gatten versöhnen?“ „Nein.“, „Wollen Sie Sich mit ihrer Gattin versöhnen?“ „Nein.“ Sühneversuch misslungen, Unterschrift, Beginn der Verhandlung.

 

Sühneversuch, was hat man erwartet, etwa wirklich den geringsten Versuch einer pragmatisierten beamteten Persönlichkeit menschliche Probleme lösen zu wollen, oder auch nur den Eindruck zu erwecken an den tieferen Ursachen dieser Angelegenheit teilhaben zu wollen um zu verstehen, was diese beiden Menschen dazu bewegt hier zu sitzen und ihr gemeinsames Leben, ihre innere Beziehung, ihre Leidenschaft und ihre körperliche Bindung gesetzlich trennen zu lassen. Es wäre sinnlos und unglaubwürdig. Alles ist sinnlos in diesem winzigen Kabinett zwischen diesen Menschen, die kein anderes Interesse haben als aneinander Geld zu verdienen und diese leidige Angelegenheit möglichst rasch aus der Welt zu schaffen. Sühneversuch, dessen Erfolglosigkeit vorauszusehen ist, steht schon in der Scheidungsklage, aber die Menschen veranstalten diese Farce um ihr Gewissen zu erleichtern oder einfach nur der Ordnung halber, hat stattgefunden, wir hätten versucht, aber es blieb erfolglos.

 

Es ist gut, dass ich bei der zweiten Verhandlung all das kannte, voraussah, einkalkulierte, dass es an mir vorüberzog wie ein Film, der mich nicht betrifft und bei dem ich nur zufällig im Kino sitze, weil ich eine Eintrittskarte, sprich Ladung  besitze. Ich bin ruhig, fast teilnahmslos. Ich erwarte nichts Menschliches mehr, und ich investiere nichts mehr. Ich bin nurmehr bereit zu sondieren was gesagt wird, was davon ins Protokoll kommt und amüsiere mich sogar leicht über die Formulierung der einfachsten Dinge.

 

Ich bin ruhig aufgestanden an diesem Morgen. Ich legte besonderen Wert auf mein Äußeres, es machte mir Spaß mich im Spiegel zu betrachten und dabei das angenehme Gefühl zu haben gut auszusehen, und so mancher kleine boshafte Teufel raunte mir ins Ohr, vielleicht würde mein gefälliges Aussehen und meine ruhige Selbstzufriedenheit ihn ein wenig aus der Fassung bringen. Ganz ruhig sah ich auf die Uhr, dosierte die Zeit die mir noch blieb einen Parkplatz zu suchen und in einem noblen Kaffeehaus noch alleine an einem Tisch zu sitzen und mein Selbstvertrauen auf die letzte Probe zu stellen. Pünktlich sein, aber nicht zu früh, nicht herumstehen und warten in diesen kalten endlosen Gängen und in Gefahr zu kommen nachzudenken.

 

Ein kalter Oktobertag, ich hatte ihn fast ein Jahr nicht gesehen, nichts von ihm gehört und das Wenige, das man mir über ihn zugetragen hat nicht in mir wirken lassen. Mein Gefühl für ihn, meine Liebe, meine Achtung vor ihm, alles war tot. Er war fremder als die, die dort ihrem Job nachgingen um unsere immer noch bestehende Ehe amtlich zu trennen. Wie auf Verabredung traf ich meinen Anwalt irgendwo in dem Labyrinth dieses Gebäudes und ging an seiner Seite, als wir ihn am Ende eines dieser Gänge sahen. Das bisschen Angst, dass in mir vor diesem Moment noch Platz ergriffen hatte verschwand. Da stand er. Nüchtern konstatierte ich, dass er noch dicker geworden war, dass er ungepflegt aussah, nichts rührte sich in mir, kein Herzklopfen und ich war imstande seinen angebotenen Gruß zu erwidern, seine Hand anzufassen, mich gelassen wieder abzuwenden um mit meinem Anwalt eine dieser Fensternischen zu beziehen, die einen grauen Hof ohne einen einzigen Baum freigaben, um die letzten Details zu besprechen.

 

Aufruf, Sühneversuch, all das zog unwirklich an mir vorbei. Beginn der Verhandlung, geboren wann und wo, Religion, Staatsbürgerschaft, Kinder, wie viele, wann geboren. Ganz nahe schien mir die Erlösung, ein Wort des Richters und alles wäre vorbei, ohne viel Aufheben. Alles schien klar. Schließlich war er ausgezogen, hatte er als erster die Scheidung eingereicht, ich hatte getan was ich konnte um diese Trennung zu verhindern, ich liebte ihn, damals noch, ich hatte ihn nie betrogen und war mir auch sonst keiner Schuld bewusst, die eine Scheidung durch meine Schuld gerechtfertigt hätte. Es ist ein übliches Gentlemanagrement, dass in solchen Fällen, in denen der Mann frei sein wollte ohne eigentlich irgend einen schwerwiegenden Grund gegen seine Frau vorbringen zu können, die Schuld auf sich nahm, zahlte was er zahlen musste um ohne viel Aufhebens eine unangenehme Sache hinter sich zu bringen, die durch längeres Hinauszögern nur mehr finanzielle Schwierigkeiten wie Unterhalt für die noch legitime Gattin und erhöhte Prozesskosten mit sich bringen würde.

 

Nicht so mein Mann. Ihm ging es um Prinzipien, um Sturheit bis zur Selbstvernichtung. Es lag ihm daran, Märtyrer zu spielen, die Schuld an seinem Versagen als Ehemann und Vater nicht anzuerkennen. All das ist mir klar geworden in den einsamen Nächten, in denen ich grübelte und studierte, nachdem er endgültig ausgezogen war, meine Liebe und damit die verklärte Brille, durch die ich ihn die ganzen Jahre betrachtet hatte, von mir abgefallen war, und ich ruhig und klar sezieren konnte, wie es zu diesem Bruch nur kommen konnte.

Es ist daher nicht zu verwundern, dass ich seine unfairen und haltlosen Angriffe gegen mich mit einem Lächeln hinnahm, mit ruhiger Gewissheit wegsteckte und mit reinem Gewissen den Kampf aufnahm gegen diese impertinente Lüge, ich hätte ehestörende Beziehungen zu einem anderen Mann. Es kam ins Protokoll, und die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt. Das heißt Ladung von Zeugen, Schmutzwäsche waschen, weitere Monate als Ehefrau, weitere Verhandlungen, Ladungen, Unterhaltszahlungen, sinnlos vergeudete Zeit, sinnlos verpulvertes Geld, nur für sture Prinzipien. Es hat mich nicht überrascht, ich habe es vorausgeahnt. Ich muss nurmehr lachen über soviel Sinnlosigkeit. Jeden Monat den er die Scheidung hinauszögert kostet ihn Geld, mehr Geld als ich je für Anwälte oder Gerichtskosten brauchen würde, selbst wenn ich den Prozess verlieren sollte. Jeder Monat macht mich härter und stärker gegen ihn und diese unwürdige Szenerie.

 

Ich gehe ins Kaffeehaus, dort wartet mein Freund. Jener Freund, dem es nicht gelungen war ehestörende Beziehungen mit mir anzuknüpfen, den es nie in meinem Leben gegeben hätte, wäre mein Mann geblieben, der mit dem Scheitern unserer Ehe nicht das Mindeste zu tun hat, weil es niemandem gelungen wäre die Liebe zu meinem Mann zu zerstören als ihm selbst, Dieser Mann, der da im Kaffeehaus sitzt, auf mich wartet, mir entgegenlächelt als ich kam, um zu sagen, dass alles schiefgelaufen wäre, der mir eine Zigarette anbietet und ein Bier bestellt, den ich lieben gelernt hatte, lange nach der endgültigen Trennung von meinem Mann, er sollte jetzt hineingezogen werden in all den Schmutz, und da plötzlich wusste ich, dass ich es nicht zulassen würde, dass man ihn als Prügelknaben missbraucht für etwas, das ganz alleine meinen Mann und mich anging, an dem er keine Schuld hätte, und auf das er keinen Einfluss nehmen konnte. Heute liebe ich ihn, das macht mich stark und frei. Vielleicht ist er meine Zukunft, vielleicht nur ein Meilenstein meiner Entwicklung zur Selbständigkeit  und Selbsterkenntnis. Sicher ist, dass es ihm nie gelungen wäre mich von meinem Mann zu trennen solange ich ihn noch liebte, und das habe ich getan, bei Gott, vielleicht sogar eine Spur zu lange.

©sarah66